Führungskräfte müssen mit Widersprüchen leben
Nach Neuberger*) müssen Führungskräfte in Widersprüchen leben, aus denen eskeinen gesicherten und eindeutigen Ausweg gibt. Er definiert z. B. folgendeDilemmata oder „Zwickmühlen“ (die angeführten – realen – Beispiele verdeutlichen, welche Auswirkungen diese Zwickmühlen haben können):
Mitarbeiter als Mittel – Mitarbeiter als Zweck
werden Mitarbeiter mehr als Kostenfaktor gesehen oder mehr als Menschen?
Beispiel: Das Firmenleitbild preist die Mitarbeiter zwar als höchstes Gut, jedoch erfolgt der Stellenabbau am Reißbrett nach Stellenplan-Kosten.
Gleichbehandlung – Eingehen auf den Einzelfall
einerseits muss es allgemein gültige Regeln und Standards geben, andererseits gibt es Individuen mit Stärken, Schwächen, Bedürfnissen, Wünschen…
Beispiel: Ein Mitarbeiter erwartet sich aufgrund seiner – wie auch seine Chefin einräumt – besonderen Leistung eine außertourliche Gehaltserhöhung, doch die wird ihm verweigert mit dem Hinweis auf mögliche Beispielwirkungen.
Distanz – Nähe
ist die Führungskraft unnahbar und entrückt oder (am anderen Ende der Skala) herzlich, emotional oder auch aggressiv?
Beispiel: Ein Bereichsleiter ist für die Mitarbeiter kaum präsent, am Betriebsausflug will er das scheinbar nachholen und ist verärgert über die „Reserviertheit“ seiner Mitarbeiter.
Fremdbestimmung – Selbstbestimmung
herrschen Linientreue, Abhängigkeit und Unmündigkeit vor oder ist Platz für Selbständigkeit und Mitdenken?
Beispiel: Im Unternehmen wird ständig von Eigenverantwortung und Mitgestaltung geredet, doch wenn jemand eine eigenständige Entscheidung ohne Rücksprache trifft, heimst er Kritik ein – sogar dann, wenn die Entscheidung für das Unternehmen vorteilhaft war (mit Verweis auf „das Prinzip“).
Spezialisierung – Generalisierung
ist Detailwissen wichtiger oder Überblick und Integrationsfähigkeit?
Beispiel: In einem Unternehmen wird scheinbar viel getan für die Teamentwicklung, doch im Alltag weiß kaum einer vom anderen, was genau er macht, da nur Experten am Werk sind.
Gesamtverantwortung – Eigenverantwortung
delegiert die Führungskraft Verantwortung und Aufgabenbereiche oder zieht sie alles an sich?
Beispiel: Die Führungskraft delegiert zwar bestimmte Aufgaben, allerdings kontrolliert und korrigiert sie ständig die einzelnen detaillierten Arbeitsschritte.
Bewahrung – Veränderung
wird Stabilität, Tradition und Sicherheit höher bewertet oder Flexibilität, Innovation oder Unberechenbarkeit?
Beispiel: der Marketing-Auftritt des Unternehmens bezieht sich immer noch auf die Situation vor der letzten Krise und ist aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr glaubwürdig.
Konkurrenz – Kooperation
welchen Stellenwert haben Konflikt, Rivalität und Wettbewerb sowie auf der anderen Seite Harmonie, Solidarität und Ausgleich?
Beispiel: Im Vertriebsbereich werden traditionell Team-Incentives veranstaltet, um den Wissensaustausch zu fördern, auf der anderen Seite geht es offenbar nur darum, wer welchen Platz bei den Abschlusszahlen belegt – daher gibt keiner sein Wissen preis.
Innenorientierung – Außenorientierung
wird die Aufmerksamkeit mehr auf die internen Gruppenbeziehungen gerichtet oder auf Außenbeziehungen (Vertretung der Gruppenbeziehungen, Kundenorientierung, Repräsentation)?
Beispiel: Im Unternehmen machen sich viel mehr Leute Gedanken darüber, wie man die Vertriebsmitarbeiter motivieren könnte, als darüber, was man für die langfristige Kundenbindung tun könnte.
Selbstorientierung – Gruppenorientierung
gemeint ist hier die Spannung zwischen dem egoistischen Sichern der eigenen Vorteile und dem selbstlosen Beitrag für das Ganze.
Beispiel: Der Produktionsleiter will dem Vertriebsleiter beweisen, dass der dem Kunden in Aussicht gestellte Liefertermin völlig unrealistisch ist. Da er auch keine Anstalten macht, Alternativen zu überlegen, gilt offenbar: Recht haben geht vor Erfolg haben.
Alle diese Themen tauchen in Führungs-Coachings immer wieder auf – eine gute Gelegenheit, diese persönlichen Zwickmühlen professionell zu reflektieren.
*) Literatur:
Neuberger, Oswald. Führen und geführt werden. Stuttgart: Enke (4. Auflage)